Martertaler Flurnamenkunde

von Johannes Ortner (2018)

Gleich oberhalb der Hofstelle befindet sich das Türggackerle (Gp. 1702), ein kleiner Acker, auf dem Futtermais (mda. Tirgg) angebaut wurde, anschließend folgt das Außere Türggackerle (Gp. 1705) oberhalb des Eyrnbergstadels. Oberhalb des Türggackerle befindet sich das Leachl (Gp. 1703), eine Verkleinerung zu „Loach“ (siehe unten!).

Unmittelbar östlich ans Wohnhaus schließt der Obere Saugarten (mda. der oubere Saugōrtn; Gp. 1718) an, der als Schweineweide genutzt wurde, darunter folgt der Untere Saugarten. Weiter in Richtung Eyrnberg-Anger befindet sich das Kreuzackerle (mda. Kraizackerle; Gp. 1717/1), das nach einem Wegkreuz benannt ist. Die vom Stadel nach Südwesten abfallende Wiesensenke heißt  ebenfalls Kreuzackerle. Der Wiesenrücken bei der obersten Kurve des Feldwegs ist das Mühleggele (mda. ’s Mileggele), benannt nach der früher funktionstüchtigen Martertaler Mühle am unteren Ende des Wiesenrückens. Wurde die Mühle mit Hilfe von „Kahndeln“ (Nuesch) mit der Wasserkraft des Marterlochbachs angetrieben? Der Waldrücken unterhalb vom Mühleggele wird in Anlehnung dazu Mühlegge genannt.

Am Rande des großen ebenen Eyrnberg-Anger folgt von oben nach unten: das Hirschackerle (halten sich dort in der Dämmerung Hirsche auf?), an der Geländekante darunter das Egg (mda. ’s Egg) und der Wiesfleck Tratl (Verkleinerung zu „Trat“). Traten kann man als „Weideäcker“ bezeichnen, die nicht jährlich mit Korn eingesät wurden. Das Vieh weidet, düngt und knetet den Ackerboden durch, wodurch die Bodenfruchtbarkeit Aufrecht erhalten wurde. Das Wort „Trat“ leitet sich von „treten“ bzw. „Tritt“ ab!

Zwischen dem Tratl und dem Martertaler Stadel werden nun Äpfel angebaut, das ist das Feldele (mda.’s Fellile), eine Verkleinerung zu „Feld“. Im Sarner Dialekt wird das auslautende „d“ zum „l“ assimiliert (Feld > mda.’s Fell). „Feld“ ist im Sarnerischen die Bezeichnung für die Intensivwiese (Dauerwiese). Unterhalb des Feldele folgen die Rainer (mda. di Rōandar), eingeteilt in die Oberen Rainer oberhalb des Feldwegs und die Unteren Rainer unterhalb des Feldwegs. In der Tiroler Mundart bedeutet Roan, Ruen oder Ran „Böschung, Abhang, Steilhang“, im Sarnerischen wird das auslautende „n“ nasaliert und ausgestoßen (’s Rōn).

Dem Feldweg weiter nach unten folgend gelangt man wiederum zu einer Geländekante, dort sind wir bei der Rast (mda. di Råscht). Es handelt sich um einen Rastplatz, wenn das Vieh zu hüten war. Der steile Buschwald, der sich gegen Südosten neigt, ist das Loach (mda.’s Lōach), im oberen Teil auch Oberes Loach genannt. Mit „Loach“ ist in den Tiroler Mundarten häufig das Laubgehölz bzw. die Laubholzweide gemeint. Der Ausdruck ist im ganzen süddeutschen Sprachraum verbreitet und geht zurück auf mittelhochdeutsch lōch „Gebüsch, Wald, Gehölz“ < althochdeutsch lōh „Lichtung, Wäldchen, heiliger Hain“ < germanisch *lauha- „Lichtung, Gehölz, Hain“ < indogermanisch *leuk- „licht, hell, leuchten, sehen“ und ist urverwandt mit klassisch Latein lucus „Hain“.

Unterhalb des Loach folgt, angrenzend an die Eyrnberger Gründe, das Leitl (Gp. 1726), eine Verkleinerung des geläufigen Grundworts „Leit(e)“, das eine Lehne, eine steile Hangseite bezeichnet. Das Wort leitet sich von althochdeutsch hlîta < germanisch *hlīdō < indogermanisch *klitis „Neige, Lehne“ ab. 

Unterhalb der Leite schließt die Eben (mda. di Eibm; Gp. 1728) an. Im Vergleich zum ansonsten steilen Gelände handelt es sich um einen relativ ebenen Platz. Das Mundartwort Eibm leitet sich von althochdeutsch ebani „Ebene“ ab. Unterhalb der Eben schließt der Acker Auf dem Hohen (mda. afn Hōachn; Gp. 1730) das Grünland ab, zu mda. hōach „steil“. Den zentralen Bereich unterhalb des Feldwegs bilden einige Bäume und Hecken, wir sind hier beim Platzl (Gpp. 8185, 1727). Gegen Südwesten folgt der Neuraut (mda. der Nuiraut; Gp. 1724 oberer Teil), zu mda. Raut „Rodung“. Der Zusatz „neu“ verdeutlicht, dass es sich um ein nach Abschluss des eigentlichen Rodungsprozesses zusätzlich gewonnenes Ackerland handelt. 

Der untere Teil der Gp. 1724 wird vom Schüpflackerle und dem Schüpflacker eingenommen, dies daher, weil am untersten Wiesenzipfel eine kleine Schupfe, eben ein Schüpfl, stand. Unterhalb des Schüpfl dehnt sich ein kleiner Waldrücken aus, das Förchegg, benannt nach den dort wachsenden Rotföhren. Diese anspruchslosen Nadelbäume gedeihen auch auf nährstoffarmem Untergrund und tolerieren intensive Beweidung. Im Sarnerischen werden die Rotföhren Ferchn genannt, in anderen Mundarten Forchn.

Unterhalb des Hōachn schließt das Waldstück namens Etz (Gp. 1731) an. Diese Bezeichnung ist im Burggrafenamt das Normalwort für den Hauswald, in dem Ströb für den Mist geholt und Brennholz für den Ofen geschlagen wird. Auch wird im Frühling zeitig das Vieh in die Etz getrieben. Der Name hängt mit althochdeutsch azzan < germanisch *atsjan „zum Fressen geben; abweiden“ zusammen und verdeutlicht wie der Loach, dass der Wald ursprünglich vor allem als Nahrungsressource für das Kleinvieh diente, Holzertrag war weniger bedeutend. Das Wort „Wald“ ist ja urverwandt mit „Feld“ und mit dem Lateinischen vellere „rupfen, zupfen“ (im Sinne von „abfressen“) verwandt. 

Am unteren Ende der Etz befindet sich eine Verebnung, der Martertaler Kühboden (mda. Kiapoudn), ein ehemaliger Weideplatz der Kühe, darunter schließt das Rötegg (mda.’s Rēategg) an, ein Geländevorsprung, der aber nicht mehr zum Martertaler gehört. Zwichen Förchegg und Rötegg fällt das Egedachsloch (mda. ’s Eigidågslöch) ab, ein Platz wo Eigidågsn „Eidechsen“ (althochdeutsch egidehsa) zu beobachten sind, vielleicht sogar Grōanzn „Smaragdeidechsen“, falls die Gegend sonnenbeschienen und warm ist. Am unteren Ende dieses Tälchens befindet sich ein längliches Feld, das Gries (Gp. 1752/3). Felder in der Nähe der Talfer, welche immer wieder von Sand und kleinen Steinen überschüttet wurden, werden im Sarnerischen Grīes genannt. Das Wort leitet sich vom Althochdeutschen grioz „Kies, Sand, Sandkorn, Sandbank“ ab.

Am Weg von der Hofstelle Martertal hinein ins Martertaler Loch, befindet sich unter dem Weg sogleich das Farmloch (mda. ’s Fårmlöch), was so viel wie „Geländevertiefung, wo Farn wächst“. Das mundartliche Fårm „Farn“ leite sich „Farren“ ab. Oberhalb des Wegs folgt das Schusterwiesl (Gp. 1684), welches zum Schusterhof gehört(e)? Sogleich folgt eine kleine Geländebiegung, wo man oberhalb des Wegs auf sandigen rötlichen Porphyrschutt stößt: wir sind beim Rötegg (mda. ’s Rēategg). Der letzte Geländevorsprung, bevor der Weg in die Tiefe des Marterlochs führt, ist das Krachegg (mda.’s Kråchegg). Auf diesen Standort begaben sich vielleicht die Hirten zum Schnëlln, d. h. mit der Geißel zu knallen und sich natürlich auch im Schnëlln zu messen. Durch die Anhöhe waren die Knalle und der Widerhall im Marterloch weitum hörbar. Die Lautstärke und der Tonfall des Knalls hingen einmal von der Fertigkeit des Schnëllers selbst, d. h. vom kraftvollen und gezielten Schwingen der Geißel über dem Kopf, von der Länge und Art der Geißel und vor allem von der Länge und Breite des „Schmitzes“ (eigenes Stoffband am Ende der Peitsche) ab.